ULLAS ALLERLEI



WEIHNACHTEN

WEIHNACHTEN © 1989 / 2010 M. Stoewer

REZEPTE:

WEIHNACHTEN

Weihnachten braucht ein extra Kapitel.

Vieles von dem, was für uns heute so selbstverständlich dazugehört, zur Familientradition geworden ist, hat sich erst im Laufe der Jahre entwickelt.
Für mich waren die Weihnachtsfeste der letzten Jahre so schön, daß ich fast meine, wir hätten sie immer so gefeiert, und es könnte gar nicht anders sein. Die Rituale haben sich auch fast nicht verändert. Sie werden nur anders gehandhabt und erlebt - entsprechend der jeweiligen Familienkonstellation. Wenn Kinder noch an den Nikolaus und an das Christkind glauben, feiert man die Advents- und Weihnachtszeit anders als in einer Zeit, in der sich zwei erwachsene Söhne um das Herrichten des Weihnachtszimmers streiten. Verändert hat sich also eigentlich nur, wer was macht und was man ißt. Geschichten über Geschichten fallen mir dazu ein. Ich könnte ein ganzes Buch nur mit Familienweihnachtsgeschichten füllen. Aber das hier soll ein Koch- und Backbuch sein, und so werde ich mich auf Geschichten beschränken, die sich um das Backen der Plätzchen und das Essen an den Weihnachtstagen ranken.

Die Weihnachtstradition war in meiner Familie spärlich entwickelt. Natürlich gab es in der Vorweihnachtszeit einen Adventskranz, und jeden Sonntag setzten wir uns um den Tisch, knapperten einige Kekse - so nennt man Plätzchen in Norddeutschland - und sangen Adventslieder. Wobei es regelmäßig zu einem Krach kam, da bei Illa und mir nach der ersten Strophe eines Liedes das Gedächtnis versagte, und mein Vater immer wütend wurde. Er selber konnte nicht einspringen. Da er nur in der Lage war, unkenntliche Melodien zu brummen, hatte er es auch nie für nötig befunden, Texte zu lernen.

Zu Weihnachten gab es natürlich einen Baum - allerdings mit elektrischen Kerzen. Nach dem Singen - jetzt klappte es schon besser - und der Bescherung setzte sich unsere kleine Familie zu einer einfachen Hühnersuppe an den Tisch. Das sogenannte Hühnerklein schwamm auch in der Suppe. Es waren arme Zeiten, aber damals habe ich nichts vermißt, ich kannte es nicht anders. In der Nachkriegszeit gab es wahrscheinlich noch nicht einmal eine Hühnersuppe. So erinnere ich mich, daß Weihnachten 1946 oder 47 für uns Kinder 1 Pfund Kunsthonig und ein Weißbrot die schönsten Geschenke unter dem - aus dem nahegelegenen Stadtpark geklauten - Weihnachtsbaum waren.
Was es an den Feiertagen zu essen gab, weiß ich nicht mehr - wahrscheinlich einen Braten oder Rindsrouladen mit Rotkraut. Bis auf die Hühnersuppe gab es also kein traditionelles Weihnachtsessen. Wichtig war nur, daß alles ohne Zwiebeln, Knoblauch oder Lauch gekocht war, weil mein Vater durch irgendein Kindheitserlebnis diese Gemüse verabscheute, die doch so viel Geschmack geben.

In der Christoph-Familie ging es noch spartanischer zu.
Vor Weihnachten durfte kein einziges Plätzchen genascht werden - wie es es auch unterm Jahr nur am Sonntag Kuchen gab. Mit Christoph hatte ich einmal einen heftigen Streit, als ich auf einer Fahrt mit dem Studentenkreis der Christengemeinschaft nach Blaubeuren schon am Samstag von dem mitgenommenen Sonntagskuchen kosten wollte. Aber die strenge Erziehung von Oma war nicht auf Geiz zurückzuführen. Sie mußte in der Kriegs- und Nachkriegszeit allein für die Familie sorgen, und das konnte sie nur mit äußerster Sparsamkeit. So gab es am Weihnachtsabend - als besondere Leckerei - Plätzchen und Kakao.

1958, zwanzig Jahre jung, vier Monate verheiratet und mit Michael schwanger, bestand ich an unserem ersten Ehe-Weihnachten auf einer Hühnersuppe. Christoph war einverstanden, und so machten wir uns am Weihnachtsvormittag auf und erstanden ein tiefgefrorenes Suppenhuhn. Kätchen war aus München zu uns gekommen. Wir bewohnten damals ein Zimmer in einer Villa in Hamburg-Wandsbek, in dem auch ein Herd und ein Waschbecken standen. Von Kochkünsten völlig unbeleckt, machten wir drei uns am späten Nachmittag an die Arbeit und stellten fest, daß das Huhn noch ziemlich gefroren war. Wir mußten warten, bis das Huhn weicher war, denn - oh Schreck -, es war auch nicht ausgenommen. Die Galle mußte vorsichtig entfernt werden. Wenn ich mich richtig erinnere, war das Ding auch nicht gerupft. Das alles mußte Christoph machen, weil ich mich ziemlich ekelte. Damals aß ich ja kein Fleisch. Aber warum bildete ich mir nur ein, daß Hühnerfleisch kein Fleisch sei?
An diesem Tage wünschte ich mir, wir hätten, der Stoewer-Tradition folgend, zu Kakao und Plätzchen Zuflucht genommen. Als das Huhn dann endlich im Topf war, mußten wir lernen, daß ein Suppenhuhn sehr viel mehr Zeit zum Weichwerden braucht, als wir dachten. Spät in der Nacht erst bekamen wir unser erstes Weihnachtsessen in die Mägen. Es schmeckte dann aber doch ganz gut. Vor allem haben wir viel gelacht.

Weihnachts Lieder singen © 1989 M. Stoewer
Ich weiß heute nicht mehr, wie wir in den darauffolgenden Weihnachten unseren Speiseplan gestalteten. Von einer Hühnersuppe aber sind wir bald abgekommen. Ich nehme an, daß wir immer etwas Kindgerechtes gegessen haben, bis wir - angeregt durch Leubes, die uns in den Dingen, die gut sind, immer einige Zeit voraus waren - zum Fondue wechselten. Manchmal am Weihnachtsabend, manchmal am ersten Feiertag.

In unserer "Rumpffamilie" hat sich das Fondue - unterbrochen von der Wohngemeinschaftszeit - erhalten.
Dazu gekommen ist der Lachs. Am Weihnachtsabend Lachs und am ersten Feiertag Fondue.
Und es ist immer schön, wenn Freunde dazukommen. Für den zweiten Feiertag brauchte nicht geplant zu werden, denn entweder blieb etwas vom Fondue übrig, oder ihr habt einen Weihnachtsbesuch beim Papa gemacht.

Wenn dich heute jemand fragt: "Was eßt ihr zu Weihnachten?" antwortest du: "Fondue" und bist überzeugt, daß das schon immer der Fall war. Du bist so sicher, daß es nicht ohne Fondue geht, daß du letztes Weihnachten deine alte Mutter, die mit Plätzchen und Geschenken bepackt zu euch nach Brescia eilte, noch zusätzlich mit dem Fonduegeschirr und den -zutaten beschweren wolltest. Ich bin dir jetzt noch dankbar, daß du dich mit einem Fondue-Weihnachts-Nach-Essen in München zufrieden gegeben hast.

Wenn sich auch das Essen verändert hat und sich unsere "Weihnachts-Fest-Essen-Tradition" erst im Laufe der Jahre entwickelt hat, so waren die Plätzchen aber von Anfang an dabei.
Erst nur Oma-Rezepte, später kamen immer mehr Ulla-Rezepte dazu. Aber darüber mehr im "Plätzchen-Abschnitt". Du wirst, wenn du einmal eine Familie hast, deine eigene Weihnachtstradition entwickeln. Aber ich denke, du wirst dich immer gern unserer Familien-Weihnachten erinnern.
Ich hoffe sehr, daß wir noch viele, viele Weihnachten gemeinsam feiern werden.


REZEPT DES TAGES

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